Allerdings können Ekstasen nicht willentlich herbeigeführt werden. Es kann ein langer Prozess sein, unseren Körper zu öffnen und unsere Ekstasefähigkeit zu steigern. Hier helfen eine langfristig angelegte Bewusstseinsintensivierung mit entsprechender Lebensweise und Übungen für Körper und Geist (vgl. die Praxistipps diverser News, ab Nr. 1/16). Eine Möglichkeit, diesen Prozess auch auf der emotionalen Ebene zu beschleunigen, ist es, Emotionen nicht nur zuzulassen und auszudrücken, sondern sie zu verstärken. Es ist der Versuch, durch eine Emotion über die Emotion hinauszukommen. Der Weg hierzu beinhaltet das Gegenteil dessen, was bisher zum Umgang mit Emotionen gesagt wurde. Anstatt Emotionen zu meiden, suchen wir sie. Anstatt sie durch Analyse zu klären, nähren wir sie. Es liegt auf der Hand, dass diese Praxis Risiken birgt. Es ist leicht, sich in Emotionen zu verstricken, negativen wie positiven, anstatt davon frei zu werden. Die Seher empfehlen diese Übung daher nur Menschen, die bereits eine grosse emotionale Bewusstheit und Kompetenz haben sowie die Fähigkeit, Emotionen zumindest ansatzweise als Ekstase zu erfahren.
Idealerweise verstärken wir eine Emotion, zu der wir ohnehin neigen. Nehmen wir an, wir wollen die Angst durch die Angst überwinden. Zuerst müssen wir wissen, was uns Angst macht, also wo und wie wir eine unserer Ängste herholen. Dann können wir uns den entsprechenden Umständen, Reizen und Auslösern bewusst aussetzen. Es können Ereignisse sein, Handlungen oder Worte von Menschen, oder auch bestimmte Medieninhalte. Einfacher ist es, wenn wir uns bestimmte Angst auslösende Situationen vorstellen. Mit Vorteil sind wir bereits in einem ängstlichen Zustand. Sobald wir die Angst fühlen, können wir anfangen, sie zu verstärken. Eine erste Verstärkung kann bereits dadurch erfolgen, dass wir die Angst ausagieren. Denn Studien zeigen, dass das Ausleben negativer Emotionen oft nicht reinigend und klärend wirkt, wie häufig angenommen wird (Katharsis-Theorie). Sondern sie werden dadurch eher genährt (vgl. Goleman 2005). Ausagieren der Angst kann bedeuten, in ihre Energie hineinzugehen: Wir nehmen eine unbewegliche, angespannte Körperhaltung ein, ziehen den Kopf ein, reissen die Augen auf, erzeugen ein Gefühl der Unsicherheit und des Verfolgtwerdens. Weiterhin können wir unsere Angst durch unsere Gedanken verstärken. Beispielsweise reden wir uns ein, dass wir bei wichtigen bevorstehenden Situationen grandios scheitern werden, dass wir ohnehin nie genug Wissen oder Fähigkeiten haben, um irgendwo irgendwem zu genügen, dass wir daher schon bald den Job verlieren, nie den richtigen Partner finden und überhaupt ständig den Anschluss ans Leben verpassen. Wir imaginieren ein Katastrophen-Szenario und wiederholen es so oft, bis wir es wirklich glauben – und bis uns die Angst fest im Griff hat.
Wenn die Angst intensiv genug ist, kann es passieren, dass wir eine unmittelbare Auflösung erfahren. Diese kann sich auf unterschiedliche Arten zeigen. In seltenen Fällen, wenn jemand bereits einen hohen inneren Druck und eine grosse Offenheit des Körpers erarbeitet hat, kann eine intensive Emotion wie die Angst zu einer Ganzkörperekstase und sogar zum Sprung in die linke Seite führen. Weniger intensiv ist eine lokal begrenzte Ekstase, etwa ein heftiges Prickeln am Oberkörper und an den Armen. Das Prickeln klärt augenblicklich – die Angst ist auf eine befreiende Art und Weise aus dem Körper geflossen. Sind wir noch nicht offen genug, kann es passieren, dass wir körperlich zittern und beben. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Angst als Ekstase herauskommen will, wir aber noch nicht die Offenheit dafür haben. Es kann auch passieren, dass sich die Angst plötzlich von einem Augenblick auf den anderen auflöst. In diesem Fall kann sich die frei gewordene Energie beispielsweise als angenehme Gedankenstille, körperliche Leichtigkeit, intensiveres Ohrenklingeln oder als eine Einsicht zeigen. Sollte sich innert nützlicher Frist keine der genannten Auflösungen einstellen, gehen wir dazu über, die Angst auf herkömmliche Weise zu behandeln: durch Körperbewegungen, durch die Analyse oder indem wir der Angst unseren Mut entgegenstellen und aus dem imaginierten Katastrophen-Szenario eine Erfolgsgeschichte machen.