Die Autoren vergleichen diese Lichtwahrnehmungen auch mit „simplen visuellen Halluzinationen“, die durch den Entzug von Sinnesreizen, durch monotones sinnliches Umfeld, und durch die Störung des visuellen Systems (Charles-Bonnet-Syndrom) herrühren. Dazu gehören klar geformte Erscheinungen wie „Punkte“ und „Sterne“ (Phosphene und Photopsien), gemusterte Phänomene wie Gitternetze, verzweigte Strukturen, Zickzacklinien und Augenrauschen, sowie diffuse Lichtwahrnehmungen wie die Erhellung des Sehfeldes, Nebel, Rauch oder Schimmern. Diese Lichtwahrnehmungen werden neurobiologisch als Effekt der „homöostatischen Plastizität“ erklärt, ein Mechanismus, durch den Neuronen ihren eigenen Erregungsgrad steuern, um stabile Aktivität und Feuerraten zu gewährleisten: Wenn sinnliche Reize heruntergefahren oder entzogen werden, wird diese Einbusse durch eine grössere neuronale Erregung kompensiert.
Dies resultiert in vermehrtem Feuern von Neuronen und damit der Wahrnehmung von Lichthalluzinationen.
Da buddhistische Meditationspraktiken oft in sozialer Isolation oder in Gruppen mit minimaler sozialer Interaktion durchgeführt werden, und da die Meditation selbst das Ausschliessen vieler Sinnesreize und das Fokussieren auf monotone, homogene oder repetitive Stimuli bedeutet, verstehen die Autoren die Lichterscheinungen der Befragten als Folge dieses sinnlichen Reizentzuges. Da Reizentzug die Neuroplastizität erhöht – d.h. die Anpassung des neuronalen Apparates an Veränderungen im Verhalten, in der Umwelt oder der Physiologie – vermuten die Autoren ausserdem, dass die Lichteffekte der Meditation auch auf Phasen der erweiterten Neuroplastizität hinweisen, und damit auch auf erweiterte Möglichkeiten der kognitiven und therapeutischen Entwicklung und Arbeit. Schliesslich schlagen die Autoren vor, die Lichtphänomene als Ansatzpunkt für die Bemessung der meditativen „Expertise“ weiter zu untersuchen.
Kommentar von Floco:
Subjektive visuelle Lichterscheinungen werden am besten durch die eigene Beobachtung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Bewusstseinszustände erforscht. Sobald wir aber darüber nachdenken, lohnt es sich zu verstehen, was unterschiedliche Kulturen und Sinn- und Wissenssysteme dazu zu sagen haben, um ein ganzheitlicheres Bild zu erhalten. Die Studie von Jared R. Lindahl und seinem Team arbeitet in diese Richtung. Die Autoren nehmen die entoptischen Phänomene als Erscheinungen einer spirituellen Praxis ernst, verorten sie in einer konkreten religiösen Tradition, gehen aber auch darüber hinaus und vergleichen sie mit neurologisch bekannten Lichtphänomenen.
Die Studie bestätigt gewisse Aspekte der Praxis der seherischen Bewusstseinsintensivierung: Lichtphänomene gelten auch in buddhistischen Traditionen als Hinweise für eine gewisse Expertise der Meditation und werden teilweise als Meditationsobjekte eingesetzt. Damit wird auch gezeigt, dass entoptische Lichterscheinungen nicht nur durch ekstatisch-schamanische Praktiken intensiviert werden können (vgl. Tausin 2006), sondern auch durch Praktiken der stillen Aufmerksamkeit bzw. Meditation; ob dadurch aber auch ein Durchdringen der Bewusstseinsschichten, der „Zoom-Effekt“, das makroskopische Sehen und damit ein Eingehen in die Leuchtstruktur möglich ist, ist unklar und muss weiter erforscht werden. In neurologischer Hinsicht wird eine Verbindung von Lichterscheinungen und erweiterter Neuroplastizität hergestellt: Das Sehen von entoptischen Wahrnehmungen geht mit einer grösseren Empfänglichkeit und Offenheit für Lern-, Erkenntnis- und Heilprozesse einher.
Dies wird auch von den Sehern als Nebeneffekt beim „Weg in der Leuchtstruktur“ geltend gemacht.
Mouches volantes werden in dieser Studie nicht erwähnt. Dies ist nachvollziehbar, da Mouches volantes in der Physiologie noch immer als Glaskörpertrübung gelten und nicht im Zusammenhang mit neurologischen Prozessen verstanden werden (vgl. Tausin 2009). Doch die genannten Beschreibungen sowohl der Meditierenden wie auch der buddhistischen Literatur enthalten mehrere „klar umgrenzte Lichtformen“, die auf Mouches volantes hinweisen, am ehesten die „weissen oder leuchtenden Punkte“, die „Perlen- oder Juwelenhaufen“ und die „Mond- und Sonnenscheiben“. Schliesslich ist diese Studie ein weiterer Hinweis dafür, dass gegenwärtig das Bewusstsein für die individuelle, kulturelle und spirituelle Bedeutung dieser Erscheinungen wächst.
Danke, Jackson Peterson (www.wayoflight.net) für diesen Hinweis!