Je konsequenter und intensiver wir ein energetisch freies spirituelles Leben führen möchten, desto mehr lösen wir uns von solchen Wünschen, Erwartungen und Ängsten. Desto stärker konzentrieren wir uns beim Lebensstil auf die elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheit und soziale Beziehungen. Und desto eher sind wir auch in diesen Dingen noch genügsam, so etwa im Verzicht auf tierische Nahrungsmittel (siehe News 2/21) oder in der längeren Nutzung von Kleidern (Stichwort: Slow Fashion). Viele Bedarfsgegenstände können wir auch leihen, teilen oder gebraucht erwerben. Ein materiell genügsamer Lehensstil ermöglicht uns zudem, die Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren, um zusätzliche Ressourcen zu erschliessen. Die Erwerbsarbeit und der Konsum sollen unser Leben und unsere spirituelle Praxis ermöglichen – und nicht umgekehrt.
Leben wir genügsam, tun wir aber nicht nur etwas für uns selbst, sondern auch für andere. Denn wir wissen es längst: Unseren ressourcenintensiven Lebensstil bezahlen wir – vor allem aber unsere Nachkommen – zunehmend mit der Erwärmung des Klimas, mit Extremwetterereignissen, Umweltkatastrophen, entsprechender Migration, Pandemien und mit zunehmenden Konflikten um Ressourcen. Eine genügsame Lebensweise – Ökonomen sprechen von „Suffizienz“ – ist ein konkreter Beitrag zu einer zukünftigen Welt, in der das Wirtschaften nachhaltig ist. Kritische Stimmen bezweifeln zwar, dass man durch Verzicht eine Kehrtwende herbeiführen wird. Denn obwohl es mittlerweile zahlreiche Aktionen und Bewegungen für einen genügsamen Lebensstil gibt – so etwa der Kauf-nix-Tag, Freeganismus, Do it yourself, Leihen und Teilen von Gegenständen (Sharing), Simple Living, Minimalismus, Frugalismus u.a. – sind dies bisher Randerscheinungen. Die Mehrheit der Menschen ist zwar durchaus für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Aber nur, wenn es keine zusätzlichen Kosten verursacht, man auf nichts verzichten und sich nichts vorschreiben lassen muss.
Hier springt dann die Wirtschaft mit innovativen Produkten ein, die in der Herstellung und im Verbrauch effizienter sind. Sie werden als „klimaneutral“, „CO2-frei“ oder „Net Zero“ beworben und erwecken den Eindruck, dass wir uns zu verantwortungsvollen Klimabürgern shoppen können. Das ist natürlich illusorisch. Zum einen können sich solche üblicherweise teureren Produkte nur die wohlhabenderen Kunden leisten, die durch ihren aufwändigeren Lebensstil ohnehin überdurchschnittlich viel Emissionen erzeugen – und somit eher etwas für ihr Gewissen, denn für die Umwelt tun. Zum anderen werden in der Klimarechnung solcher Produkte kaum je der gesamte Ressourcenverbrauch und alle Umweltschäden berücksichtigt – würden sie es, wie es z.B. das MIPS-Mass (Material Input pro Serviceeinheit) annäherungsweise tut, dann würden viele Produkte auf einen Schlag unerschwinglich. Und schliesslich stimmt es natürlich, dass wir mit den verfügbaren Ressourcen effizienter umgehen müssen, wozu langlebige, reparaturfähige und recyclefähige Produkte beitragen – hier sind Technologie und Wirtschaft gefordert. Doch Effizienz allein wird nicht die gewünschte Wirkung haben, wenn dafür wiederum mehr und ressourcenintensivere Güter konsumiert werden (Rebound-Effekt). Beispielsweise sparen wir durch die Digitalisierung zwar Flüge und Fahrten und damit jede Menge Energie und CO2-Emissionen ein. Aber was nützt das, wenn es immer mehr digitale Endgeräte gibt, wenn selbst in Haushaltsgeräte, Betten und Toiletten Mikrochips eingebaut werden, und wenn die dabei erzeugte Datenmenge ins Gigantische wächst und die Infrastruktur zu deren Verwaltung mittlerweile einen dreimal so grossen ökologischen Fussabdruck hinterlässt wie Frankreich oder Grossbritannien?
Vielleicht werden wir irgendwann eine Kreislaufwirtschaft nach dem Vorbild der Natur haben, in der alle verwendeten Energien erneuerbar sind, keine Abfälle entstehen und die Ökosysteme intakt bleiben (die sog. Ökokonsistenz). Doch selbst wenn das realisierbar sein sollte, ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Und selbst dann wird es nicht ohne Genügsamkeit gehen, um die Naturverträglichkeit von Produktion und Konsum zu gewährleisten. Es gilt also: keine Effizienz und Konsistenz ohne Suffizienz – oder anders gesagt: Wir schaffen den Sprung in die Nachhaltigkeit nicht, wenn wir nicht auch Genügsamkeit leben. Dazu reichen weder die freiwilligen Aktionen und Bewegungen von Individuen, noch die grüne Richtung in Technologie und Wirtschaft. Als Gesellschaft und als globale Gemeinschaft müssen wir systemverändernde Massnahmen ergreifen wie beispielsweise eine Ressourcen schonende Subventionspolitik, eine substanzielle Arbeitszeitreduktion sowie die gerechte Verteilung des Reichtums. So lassen sich die Produktion und der Konsum auf ein naturverträgliches Mass reduzieren und Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit für alle realisieren, nicht nur für die Wohlhabenden.
Ein Problem dabei ist, dass viele Menschen Genügsamkeit immer noch mit Verzicht, Entsagung und Einschränkung gleichsetzen. Man stellt sich eine Minderung der Lebensqualität vor, ein Leben in Mangel und ohne Freude. Da bringen auch die moralischen Appelle nichts, die den Erhalt der Lebensfreundlichkeit des Planeten für alle Menschen und für zukünftige Generationen ins Feld führen. Denn Menschen wollen für ihre Anstrengung oder Investition hier und jetzt belohnt werden. Soll die Genügsamkeit mehrheitsfähig werden, muss sich also die Perspektive ändern. Im Gegensatz zum Verzicht beinhaltet Genügsamkeit die Idee des genug Habens: Was wir haben, genügt, um unsere wichtigsten Bedürfnisse zu befriedigen. Und damit haben wir zugleich genug Zeit und Energie für Tätigkeiten, die die Sinnhaftigkeit und Qualität unseres Lebens steigern. Dies ist ein ganz konkreter und sofortiger Gewinn, der aber als solcher erst erkannt werden muss.
Und das ist vielleicht die wichtigste Botschaft, die die Seher – und alle, die bereits ein genügsames Leben führen – uns für die Umstellung mitgeben: Es geht nicht nur um die Einsparung von Ressourcen, um den Schutz der Natur oder um Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich sowie zwischen den Generationen. Es geht eben auch darum, zu entdecken, dass sich die Schätze unseres Lebens wie Sinnhaftigkeit, Klarheit, Liebe, Glück, Selbstbestimmung, Gesundheit und Sicherheit kaum mit materiellen Gütern und Dienstleistungen erkaufen lassen, wie uns eine wachstums- und profitorientierte Wirtschaft glauben machen will. Sondern dass wir sie, sobald unsere lebensnotwendigen und wichtigsten Bedürfnisse gedeckt sind, in uns selbst, in unserem Bewusstsein kultivieren können – wenn wir uns die Zeit und Energie dafür nehmen, von denen wir dank eines genügsamen Lebensstils mehr haben.